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Joseph Heintz de Jongere (ca. 1600 - nach 1678)



Joseph Heintz de Jongere (ca. 1600 - nach 1678)

Die Versuchung des heiligen Antonius des Einsiedlers

Kataloganmerkung
Mit Dank an Prof. Dr. Bernard J. H. Aikema, Universität von Verona, Spezialist auf dem Gebiet der Malerei und Zeichenkunst in Norditalien zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert und Experte auf dem Gebiet der europäischen Renaissance, für seine freundliche Unterstützung bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes auf der Basis von Fotos.


Dieses sehr interessante Gemälde ist ein emblematisches Werk des in Augsburg geborenen Malers Joseph Heintz des Jüngeren. Prof. Dr. Aikema geht sogar davon aus, dass die vorliegende Arbeit ein hervorragendes Werk innerhalb des Œuvre von Heintz II.1 ist. Joseph Heintz der Jüngere, Sohn des Hofmalers von Kaiser Rudolf II., auch Joseph2 genannt, verbrachte den größten Teil seiner Laufbahn in Venedig. Er entwickelte einen sehr persönlichen Stil und spezialisierte sich auf zwei innovative Genres: zum einen auf Capriccios oder Capricci3 und topografische Darstellungen, oft von besonderen historischen Ereignissen4, und zum anderen – noch typischer für Heintz II. – auf übernatürliche Szenen mit Hexerei, monsterähnlichen Wesen und Magie, die auf den einflussreichen frühen niederländischen Meisters Hieronymus Bosch5 zurückzuführen sind. Das vorliegende Werk ist ein ausgezeichnetes Beispiel der letztgenannten Kategorie.

Die abgebildete Szene bildet eine harmonische und ausgeglichene Komposition. In der Mitte wird der heilige Antonius der Einsiedler abgebildet, der ein dunkles Habit trägt und seinen Blick andächtig auf ein Buch – möglicherweise die Bibel6 – vor ihm richtet, während er in seiner linken Hand ein Kreuz hält. Der fromme Heilige wird von einem Satyr7 angefallen, der mit Gewalt an der Kapuze seines Habits zieht und im Begriff ist, den alten Mönch mit einem Knüppel zu schlagen. Obwohl der heilige Antonius selbst sich nicht ablenken lässt, wird das Auge des Betrachters auf die nackte Frau gelenkt, die einen Spiegel in ihrer Hand hält8 und einen hellen Fokuspunkt innerhalb der sonst sehr dunklen Komposition bildet. Hinter ihr steht ein Dämon mit dem Kopf eines Bockes, der aus einem Korb Reichtümer vor dem Einsiedler ausschüttet. Diese übernatürlichen Manifestationen versuchen Antonius zu einem zügellosen Leben zu verleiten, aber dank seines starken Glaubens kann er diesen Verführungen widerstehen. Nicht nur der Boden, sondern auch die Luft ist mit Monstern und Fantasiewesen erfüllt, umgeben von fliegenden Kugeln und Blitzen. Das gleiche pikturale Element verwendet Heintz II. in Allegorie der Apokalypse, einem Gemälde, das sich im Kunsthistorischen Museum in Wien9 befindet (siehe Abb. 1).

Diese recht sinistere Szene wird von allerlei fantastischen Figuren und dämonischen Wesen bevölkert, die furchtbare Gräueltaten begehen. Interessanterweise entsprechen einige Darstellungen spezifischen ikonografischen Kennzeichen und Eigenschaften, die mit dem heiligen Antonius verbunden sind. Das Schwein rechts unten in der Komposition, das – genau wie Antonius selbst – von grausamen Monstern gequält wird, ist ein ikonographisches Attribut sowohl des Heiligen als auch des nach ihm benannten Mönchsordens. Die Mönche von Sankt Antonius sorgten für die Kranken der Stadt und durften im Gegenzug ihre Schweine frei auf den Straßen herumlaufen lassen10. So scheint eine interessante Wiederholung dieses ikonografischen Themas in die dargestellte Szene integriert zu sein. Heintz II. hat zudem möglicherweise noch eine zweite ikonografische Wiederholung dort verborgen. Sankt Antonius wird als der Heilige verehrt, der Mensch und Tier vor Epidemien schützt, vor allem vor der Krankheit, die als Antoniusfeuer bekannt ist und auch als „Ergotismus“ oder „Mutterkornvergiftung“ bezeichnet wird. Rechts oben in der Ecke wütet ein zerstörerisches Feuer, das eine Stadt verschlingt. Das lodernde Feuer unterstreicht nicht nur die Vergänglichkeit irdischer Güter und der Eitelkeit, sondern ist auch ein spezifisches ikonografisches Attribut, das man mit dem heiligen Antonius assoziiert11.

Biografie und Œuvre
Geboren wurde Joseph Heintz der Jüngere, auch als Giuseppe Enz(o) il Giovane bekannt, wahrscheinlich ca. 1600 in Augsburg als Sohn und Schüler des Schweizer Malers, Zeichners und Architekten Joseph Heintz des Älteren (1564-1609), der Hofmaler von Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, war. Lange Zeit kopierte Heintz II. die Gemälde seines Vaters12. Er wurde später Stiefsohn und Schüler von Matthäus Gundelach (ca. 1566-1654), der Josephs Mutter Regina Gretzinger heiratete. Genau wie Heintz der Ältere war auch Gundelach Hofmaler von Kaiser Rudolf II. Nach dem Tod des Kaisers 1612 blieb Gundelach in Prag im Dienst von Kaiser Matthias. Um 1615 herum verließ er den Hof und zog nach Stuttgart, wo er eine Zeitlang beim Herzog von Württemberg in Dienst war, schließlich ließ er sich 1617 in Augsburg nieder.  

Joseph Heintz der Jüngere war von 1617 bis 1625 in Augsburg aktiv und reiste dann nach Italien, wo er sowohl in Rom als auch in Venedig wohnte. Obwohl Heintz II. die meiste Zeit in Venedig gewesen zu sein scheint, verbrachte er 1630 oder 1640 wahrscheinlich auch längere Phasen in Rom, wo ihn Papst Urban VIII. vor 1644 zum Ritter der Goldenen Sporn13 schlug. Er blieb in Venedig, bis er dort 1678 im Alter von ca. 78 Jahren starb14. Somit dauerte seine Schaffensphase fast sieben Jahrzehnte.  

Heintz unterschied sich von seinen Zeitgenossen durch seine revolutionären Darstellungen, wie auch im vorliegenden Werk, inspiriert durch gemalte und gedruckte Werke von Hieronymus Bosch, Pieter Brueghel dem Älteren und Jacques Callot. Heintzʼ Œuvre umfasste religiöse Darstellungen, Porträts und – ganz nach dem Geschmack des Kaisers – erotische mythologische Themen, wie die hier vorliegende Komposition. Diese Arbeiten waren zunächst sehr begehrt. In fast all seinen Werken arbeitet Heintz II. mit dem visuellen Effekt von Licht und Dunkelheit, entsprechend dem typisch italienischen canonieke modus, der auch als Chiaroscuro bekannt ist: ein Einsatz von großen Helligkeitsunterschieden, der gleichzeitig als kompositorisches Element dient.

Dem modernen Betrachter erscheint die Thematik der Darstellung vielleicht fast blasphemisch. Solche Gemälde waren allerdings in Venedig in der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht selten. Heintz II. war für seine Stregoneria, Szenen mit Hexerei oder magischen Praktiken, bekannt, eine Gemäldekategorie, die in Venedig im 17. Jahrhundert eifrig gesammelt wurde. Das geht aus dem Lob hervor, das diese Werke vom maßgeblichen zeitgenössischen venezianischen Kritiker Marco Boschini (1602-1681) in seiner Publikation „La carta del navegar pitoresco“ (Die Karte des pikturalen Navigierens), herausgegeben in Venedig im Jahr 1660, erhielten. Heintz II. muss Kontakt zu freidenkerischen Kreisen in der Stadt gehabt haben, beispielsweise zu der berühmten Accademia degli Incogniti, die von dem Patrizier Giovan Francesco Loredano geleitet wurde und in der von Künstlern wie Pietro della Vecchia und tatsächlich auch Joseph Heintz II. gotteslästerliche und sogar atheistische Ideen in Literatur und Darstellungen propagiert wurden. Daher ist dieses Gemälde ein sehr interessantes und wichtiges Beispiel für die freidenkerischen kulturellen Äußerungen, die Mitte des 17. Jahrhunderts in Venedig bekundet wurden.

Ikonographie und Einfluss
Im 3. Jahrhundert nach Christus verkaufte ein junger Ägypter namens Antonius all seinen Besitz und gab den Erlös den Armen. Anschließend ging er in die Wüste, um ein Leben in Gebet und Kontemplation zu führen. Seinem Beispiel folgend zogen andere Männer in die Wüste und letztendlich bildeten sie die erste christliche Mönchsgemeinschaft.

Die Versuchung des heiligen Antonius durch übernatürliche Versuchungen, mit denen der heilige Antonius der Große offenbar während seines Aufenthalts in der ägyptischen Wüste konfrontiert wurde, ist in der westlichen Kunstgeschichte und Literatur ein bekanntes Thema. Das populäre mittelalterliche Sujet, aufgenommen in die Goldene Legende15 und andere Quellen, zeigt den heiligen Antonius, der in der Wüste von Dämonen in Form von Monstern verführt oder belagert wird, den Verführungen aber widerstehen kann16. In der vorliegenden Komposition wird die Verführung durch eine nackte Frau und Reichtümer dargestellt, die vor dem alten Einsiedler ausgeschüttet werden. Normalerweise wird der Heilige von rasenden Dämonen belagert.   

Eine wichtige pikturale Quelle für Heintz II. waren die Gemälde von Bosch. Nicht weniger als drei Werke dieses einflussreichen Malers werden im Palazzo Ducale, dem Dogenpalast, in Venedig aufbewahrt werden. Was die visuellen Quellen angeht, die den fantastischen Figuren von Heintz zugrunde lagen, ist vor allem an Grafiken wie Stichen nach Bosch, Pieter Brueghel oder auch Giorgio Ghisi zu denken.

Die vorliegende Komposition scheint zum Teil auf einer Gravur des französischen Künstlers Jacques Callot (1592-1635) zu basieren, der die Versuchung des heiligen Antonius17 darstellte (siehe Abb. 2). So scheint das große fliegende Monster in der Mitte der Komposition dem Beispiel von Callot zu folgen, ebenso die brennende architektonische Struktur rechts. Prof. Dr. Aikema weist außerdem auf den Einfluss der Drucke von Stefano della Bella (1610 – 1664)18 hin.

Zudem finden sich im vorliegenden Werk unterschiedliche wiederkehrende Motivthemen von Heintz II. selbst wieder. So ist die Luft mit Monstern und dämonischen Wesen erfüllt, umgeben von fliegenden Kugeln und Blitzen. Heintz II. nutzte das gleiche pikturale Mittel in „Pluto kehrt aus Tartarus zurück“20, einem Werk, das sich in der Sammlung des Městské Muzeum, Mariánské Lázně, Tschechien, befindet (siehe Abb. 3.). Mit dem Thema eines angebundenen wilden Tieres – in dem Fall eines Stieres – und des Feuerwerks beschäftigte er sich auch in einem Gemälde, das Giovedi Grasso während des Karnevals in Venedig zeigt20. Die sonderbaren Monster ähneln denen in A Witchcraft Scene21, das Heintz II. zugeschrieben wird (siehe Abb. 4), in dem auch kleine spinnenähnliche, Bosch-artige Monster zu sehen sind.  

Da nur wenige seiner Arbeiten datiert sind, ist es schwer, eine präzise Datierung vorzunehmen. Die feine Qualität des vorliegenden Werkes weist allerdings darauf hin, dass es in einer späteren und weiter entwickelten Periode entstanden ist, es kann somit im 3. Quartal des 17. Jahrhunderts angesiedelt werden.

Joseph Heintz de Jongere (ca. 1600 - nach 1678)
Preis auf Anfrage
Epoche
ca. 1660
Material
Ölfarbe auf Tuch
Abmessungen
63 x 71 cm

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